Interview mit fetisch:Mensch Band des Monats März 10

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Band des Monats März 2010

Als Co-Headliner neben Santa Hates You werden fetisch:Mensch bei uns auf dem 3. PGF 2010 an Himmelfahrt auftreten. Da wird es Zeit das neueste Projekt rund um Oswald Henke, Tim Hofmann und Jochen Schoberth einmal genauer vorzustellen...

 

 

 GFN: Hallo ihr Lieben von fetisch:Mensch. Wir freuen uns sehr, euch auf dem 3. PGF Himmelfahrt im Event-Schloss PULP Duisburg dabei zu haben, möchten euch aus diesem Anlass noch einmal ausführlich vorstellen. Seid ihr so nett, stellt euch einmal, mit "Funktion" in der Band, vor?

Tim: Oswald Henke ist für Stimme, Worte, Produktion und „Endabnahme" zuständig. Ich komponiere die Stücke, spiele Gitarre, Bass und mache die allermeisten Keyboard-Programmierungen. Jochen Schobert spielt Gitarre und Gitarrensynthesizer und ist im Studio der Mann hinter den Reglern. Dirk Törppe spiel Schlagzeug.

GFN: Was genau ist das Konzept hinter fetisch:Mensch? Wie und warum habt ihr Euch zusammengefunden? 

Tim: Wir wollten nach dem Ende von Artwork und Erblast 2003 einfach weiter zusammen Musik machen, weil uns sonst etwas gefehlt hätte. Diese Musik sollte rockiger, direkter und weniger artifiziell sein, ohne dabei an gedanklicher Tiefe zu verlieren. Das soll dann auch der Name ausdrücken: Ein Fetisch ist ein ansich nicht sonderlich bedeutungsvoller Gegenstand, welcher aber durch eine besondere Art der Zuneigung und Abhängigkeit völlig überhöht wahrgenommen wird. Etwas Überschätztes, ohne das man aber nicht leben kann...

fetischMENSCH-001GFN: Man kennt euch ja von verschiedenen anderen Bandprojekten in der Vergangenheit. Wen man euch als fetisch:Mensch noch nicht kennt, wie muss man sich das musikalisch vorstellen? Von den Texten her ist es ja stark durch den Stil eines Oswald Henke geprägt?

Tim: Also, wer das hier lesen kann, sollte mit einiger Wahrscheinlichkeit Zugang zum Internet haben. Ergo kann er/sie/es sich auch auf unserer Myspace-Seite die Musik einfach anhören und mir die Antwort auf dieses schwierige Frage ersparen  Wer das aus irgendwelchen Gründen nicht kann, den bitte ich mit folgender Beschreibung klarzukommen: Wir klingen wie mit Elektroenergie aufgeladener Wave-Hardrock, allerdings mit dafür untypischen, weil leicht ausufernden Harmoniefolgen und reichlichen Abstechern in sanft-ambiente Tiefen.

GFN: Warum habt ihr bis dato keine regulären Tonträger veröffentlicht? Eure Musik kann man ja bis dato nur (kostenpflichtig) runterladen? Ich habe allerdings gelesen, das nun aber doch zumindest erst mal eine EP geplant ist?

Tim: Unser Album „Manchmal" nur zum Download anzubieten war einerseits ein Experiment, mit dem wir mal einen neuen Vertriebsweg ausprobieren wollten. Andererseits wollten wir damit aber auch die Musik in den Vordergrund rücken: Es kommt letztlich immer nur auf den Moment des Erklingens an, nicht auf die Übertragungsform oder gar einen physischen Tonträger. Erst recht nicht, wenn Musik sowieso überwiegend als Datei getauscht und gehört wird. Das mag mitunter zu dem irrtümlichen Eindruck geführt haben, fetisch:MENSCH seinen strikte CD-Gegner, was jedoch nicht zutrifft. Voraussichtlich wird daher unsere nächste Veröffentlichung auch physisch zu haben sein. Im Augenblick widmen wir unsere Aufmerksamkeit jedoch voll der neuen Musik und nicht ihrem Transportmittel  Lustig finde ich allerdings den doch etwas vorwurfsvollen Unterton in der (kostenpflichtigen) Klammer: Habt ihr den Eindruck, dass bei einem CD-Kauf der zu entrichtenden Preis nur eine Aufwandsentschädigung für Plastik und Papier ist? Oder zahlt man da empörenderweise Weise auch für die Musik? 

Anmerk. GFN: Mit dem kostenpflichtig in der Klammer wollte ich aber nur noch mal gezielt auf diesen Umstand hinweisen, das war nicht vorwurfsvoll gemeint *grins*]

fetischMENSCH-002Oswald: Die Musikindustrie ist im Umbruch. Ich denke, in der Form wie wir sie kannten wird sie sich auflösen. Wir werden versuchen, einen Tonträger zu veröffentlichen - das wird ein Angebot, ebenso wie die Möglichkeit von Downloads. Am Ende endscheidet der Hörer: Entweder er bezahlt für das, was er hören möchte - oder eben nicht.

GFN: Eure Internetseite ist auch sagen wir relativ minimalistisch gehalten. Neben den Songtexten und dem Gästebuch gibt es eine Porträt-Gallerie passend zu euren Songs. Keine Biografie, keine Bandnews. Nichts soll ablenken von eurem Schaffen?

Tim: Mal ehrlich: Wer hat denn irgendwo schon mal eine sinnvolle Band-Biografie gelesen, die von der Band selbst geschrieben oder in Auftrag gegeben wurde? Entweder ist es belanglos oder gelogen  Ich denke, das Spektakulärste sind auch bei uns Musik und Texte, und die sind ja verfügbar. Außerdem scheint sich auch die Schwarze Szene mehr und mehr zu MySpace zu verlagern, viele Bands haben nur noch dort eine Seite. Ich gebe daher zu, dass unsere HP sicher mal eine Auffrischung vertragen könnte - die es in absehbarer Zukunft auch geben wird.

Oswald: Ich denke, die schwarze Szene löst sich gerade ein wenig auf, sie wurde die letzten Jahre immer mehr verkommerzialisiert und wuchs an, ohne eine intellektuelle Gemeinsamkeit zu entwickeln. Sie wurde ein Sammelsurium verschiedener Strömungen, die es leider nicht schafften eins zu werden, sondern die Szene zu einem Patchworkteppich verwandelten - leider mit schwachen Verbindungsnähten. Cybergoth wurde aus dem Techno adoptiert, und bei den seichten Schlagerauswüchsen wurde manch Alltagsmelancholie schwarz ausgelegt. Es ist den Leuten nicht mehr wichtig zu wissen, was sie von wem hören - ihnen reicht in der Regel eine Textzeile oder ein Schlagwort aus. Dienstleister-DJ´s spielen dann willig die Stücke, das Publikum selbst kennt oft nicht einmal die Gesichter der Künstler die sie hören oder sich wünschen. Die Musik ist zu einem großen Teil entpersonifiziert. Wozu also den Aufwand tätigen und etwas anbieten, was nicht wargenommen wird?

fetischMENSCH-004GFN: Ihr äußert euch auf eurer myspace-Seite ja auch immer mal gerne kritisch zu (szene-bezogenen) Themen wie "unheilige Kunstfiguren"  oder in Überlegungen wie "Sind Nazis auch nur Menschen". Ist so etwas nicht gefährlich, habt ihr keine Angst mit sowas bei der einen oder anderen Szene-"Autorität" anzuecken oder Fans zu verärgern? Oder seht ihr das irgendwo auch als eure Aufgabe an, den Finger auf schwelende Wunden zu legen?

PS: An dem Tag, an dem sowas „gefährlich" wird, kehre ich der Szene den Rücken, allerdings sicher nicht aus Angst. Ich finde nämlich nicht, dass solche Äußerungen übermäßig kritisch sind, sondern halte sie eher für eine ganz normale Auseinandersetzung. Ohne Auseinandersetzung wird jede Kunst sinnlos. Es geht nicht primär darum, Finger in irgend welche Wunden zu legen. Ich finde es einfach spannend und wichtig, Positionen zu beziehen und sich über diese auszutauschen. Mir gibt das was, man lernt doch auch dann von einer anderen Sichtweise, wenn man sie absolut nicht teilt. Der Punkt ist doch: Solche Diskussionen werden heute nur noch als „Überzeugungsschlachten" gesehen. Wer seine Meinung auch nur äußert, gerät sofort in den Verdacht, diese jemand „aufzwingen zu wollen". Wie schwach ist dass denn? Ertragen wir es nicht mehr, wenn das Gegenüber eine Sache mal anders sieht? Oder sind die eigenen Argumente so windelweich, dass sie bei der kleinsten Gegenargumentation zusammenfallen? Ich finde es schlimm, wenn als einziger Wert der Szene „Toleranz" hochgehalten wird. Toleranz ist wichtig, keine Frage! Aber sie ist doch kein Wert an sich, sondern eine Sekundärtugend: Ich kann nur dann Dinge wirklich tolerieren, wenn ich auch für eine eigene Position stehe. In der Szene wird „Toleranz" aber immer mehr mit geistiger Faulheit verwechselt. Immerhin bedarf es ja einer gewissen Mühe, sich eine Meinung zu bilden.

Das kann beim sorglosen Abfeiern schon störend sein - also sind wir lieber alle einfach immer „tolerant". Szene-Gestalten, bei denen man mit so dezent und wie ich finde sachlich geführten Debatten wie den unseren aneckt, sind für mich keine „Autoritäten". Mit dem Graf selbst kann man übrigens ganz locker über das Thema „Kunstfigur" reden. Das ist ein netter Mensch, der es im Gegensatz zu einigen seiner Fans ganz gut erträgt, wenn jemand Unheilig nicht mag - und der selbst als erster zugibt, sich seine Inspirationen bei Rammstein und Oomph! zu borgen.

Oswald: In der Regel äußert sich Tim auf der fetisch:Mensch-Seite. Es gibt vier Menschen die hinter fetisch:Mensch stehen und wir sprechen nicht im Chor. Jeder hat unterschiedliche Meinungen und Standpunkte - aus dem Grund können Blogs auf Bandseiten natürlich immer auch ein zweischneidiges Schwert sein.

GFN: Tim, Thema "Gebrauchsgotik", diesen gar lustigen Begriff las ich in einem anderen Interview, kannst du auch hier noch mal ein wenig erläutern, was du genau damit meinst?

fetischMENSCH-009Tim: Es gibt Menschen, für die Musik etwas Magisches ist - wogegen anderen Musik eher als eine Art Klangtapete, als nette Deko in ihrem Leben dient. Ich sehe das erst einmal als neutralen Fakt an - nur weil Musik in meinem Leben extrem wichtig ist, muss sie das ja nicht auch in allen anderen Leben sein. Subkulturelle Szenen wie unsere gründen sich aber ursprünglich darauf, dass sich Menschen zusammenfinden, die vor allem die besonderen magischen Momente schätzen. Mir sind diese nach wie vor wichtig. Je mehr eine solche Szene aber zum gefälligen Lifestyle wird, desto mehr ähnelt sie der Rest-Gesellschaft, und dann wird eben auch Klangtapeten-Szenemusik benötigt. So lange es trotzdem noch gute Bands wie Diary of Dreams oder IAMX gibt, kann ich damit leben. Ich kann aber leider nicht ausschließen, dass auf Grund meiner zugegebenermaßen recht starken Liebe zur dunklen Musik in dem Wort „Gebrauchsgotik" für die erwähnten Szene-Fahrstuhlklingeltöne ein gewisser subjektiver Sarkasmus mitschwingen könnte...

GFN: Die Basis unserer Internet-Seiten bildet ja unsere Szeneeltern-Community, daher muss ich hier natürlich irgendwann auch persönlicher werden  Ich weiß das Jochen Schobert Kinder hat, gibt es drüber hinaus noch Väter unter euch? Wie erleben eure Kinder euch als Musiker, vor allem auch innerhalb der "schwarzen Szene" ?

Tim: Bei Jochen weiß ich bisher nur von einem Kind . Ansonsten bin ich das einzige Elternteil mit konkreten elterlichen Erfahrungen, ich habe so drei bis vier Kinder. Die Aktivität in der Schwarzen Szene ist für unsere Kinder wohl so normal wie der Fussball für die Kinder fussballspielender Väter. Der „Onkel Oswald" ist daher kein Schreckgespenst, sondern beliebt .
Meine haben vielleicht etwas düstere Namen, ansonsten halte ich es mit dem Motto „Kinder sind Gäste, die nach dem Weg fragen". Wer bin ich also, ihnen meine Sichtweisen aufzudrängen? Bei uns zu Hause regieren daher je nach Kinderlaune Ritter Rost, Shaun das Schaf, die wilden Hühner oder der Kleine König. Musikalisch färbt es sicher ein klein wenig ab, an IAMX, In Extremo, Diary of Dreams oder Placebo kommt man bei uns eben nicht vorbei - in so einem Fall gibt es dann schon mal ein T-Shirt.
Ansonsten finde ich es aber offen gesagt furchtbar, wenn Eltern ihre Kids szenemäßig verkleiden. Mir ist es lieber, wenn mein Nachwuchs in seinen inkompatiblen Lieblingsklamotten mit zum WGT geht...

GFN:  Und jetzt kommt die von Festivalbands immer gefürchtete Frage , habt ihr euch schon Gedanken zu eurer "familienfreundlichen Aktion am Nachmittag" auf dem PGF gemacht?

Tim: Ich bin der Meinung, dass das Kinderfreundlichste überhaupt zufriedene, ausgeglichene und in sich selbst ruhende Eltern sind, die diese Kraft dann in ihre Familie mitnehmen und dort entsprechend Halt geben können. Insofern hoffen wir, mit unserer Musik dazu beitragen zu können, den Eltern eine sinnstiftende, seelisch erfüllende Zeit zu verschaffen. Denn für Kinder selbst sind unsere Stücke und deren Themen definitiv nichts. Kein Kind sollte schon über einen „Narbengarten" reflektieren müssen. Aber falls das nicht gemeint sein sollte: Oswald und ich lese gern was vor, zum Beispiel den „Grüffelo", Teil 1 und 2. 

fetischMENSCH-013GFN: Was dürfen wir live von euch erwarten und was nicht ? Bringt ihr neue Songs mit? Gar die erste offizielle EP, von der gemunkelt wird?

Tim: EP oder Album werden wir noch nicht fertig mitbringen, aber einige neue Stücke davon.

GFN: Hier ein bischen Platz für ein persönliches Statement an unsere Leser und Community-Eltern , habt ihr noch was auf dem Herzen?

Tim: Ich fände es schön, wenn in der Szene wieder eine Streitkultur gepflegt werden würde. Mit der Betonung auf „Kultur"! Eine gute Partnerschaft erkennt man ja nicht daran, wie super man in harmonischen Zeiten miteinander auskommt, sondern wie souverän und fruchtbar man mit Differenzen umzugehen versteht. Und letztlich sollte eine Szene so etwas wie eine Partnerschaft, eine Familie sein...

fetisch:Mensch im Web: http://www.fetisch-mensch.de/
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